Frühwarnsysteme für den Gesundheitssektor

Im Berliner Tagesspiegel wurde eine Artikel über DAKI-FWS veröffentlicht. Der vollständige Artikel ist hier nachzulesen.

Die Auswirkungen des Klimawandels werden auch in Deutschland immer spürbarer. Insbesondere Hitze wird in der Bundesrepublik zum Problem. Aber auch Viren können sich häufiger und unbemerkt verbreiten. Künstliche Intelligenz könnte helfen, den Gesundheitssektor vor einer Überlastung zu
bewahren.

Von David Renke

Die Folgen des Klimawandels für die Gesundheit sind in Gänze bislang kaum abzusehen. Die Auswirkungen machen sich allerdings schon jetzt bemerkbar – auch in Deutschland. Laut dem Lancet- Countdown-Report gab es in der Bundesrepublik bereits 2018 mehr als 20.000 hitzebedingte Todesfälle in der Altersgruppe der Menschen über 65 Jahre (Background berichtete). Nur zwei Länder hatten mehr Hitzetote im gleichen Jahr zu beklagen. Die beiden Länder – China und Indien – sind die bevölkerungsreichsten Staaten der Welt.

Doch nicht nur Hitze wird zum Problem. Unlängst haben amerikanische Wissenschaftler der Georgetown Universität ermittelt, dass es durch die Erderwärmung zu mindestens 15.000 neuen Virusübertragungen zwischen Tierarten kommen dürfte (Background berichtete). Damit steigt ebenfalls die Wahrscheinlichkeit, dass neue Viren auf Menschen übertragen werden. Unter diesen Voraussetzungen überraschen die Berichte über die Ausbreitungen der Affenpocken, die auch in Europa und Nordamerika zu Ansteckungen führten, kaum. Auch die Affenpocken sind eine Zoonose. Experten gehen davon aus, dass das Virus von Nagetieren auf den Menschen übertragen wird.

Das Gesundheitssystem muss sich also auch nach zwei Jahren enormer Belastung durch die Corona-Pandemie auf eine weiter angespannte Lage einstellen. Dabei wird es immer wichtiger, mögliche Krisen frühzeitig zu erkennen. Zentral dürfte dabei künftig die Verarbeitung von Daten mit Künstlicher Intelligenz (KI) sein, erklärte Jackie Ma vom Heinrich-Hertz-Institut (HHI) der Fraunhofer-Gesellschaft: „KI wird eine große Rolle spielen, wenn wir künftig mit vermehrten Naturkatastrophen und Wetterextremen umgehen müssen. Das hängt unter anderem auch schon damit zusammen, dass wir in diesem Bereich extrem viele Datensätze haben, die ohne künstliche Intelligenz gar nicht mehr effizient durchforstet werden können.“

Auch Klimawissenschaft könnte profitieren

Ebenso dürfte die Klimawissenschaft von der künstlichen Intelligenz profitieren, ist Ma überzeugt: „KI-Systeme sind sehr gut für Simulationen geeignet. Es gibt in der Klimawissenschaft zwar sehr gute Modelle für Klimaextreme, die sind aber bei der Berechnung sehr zeitintensiv.“ KI könnte diese beschleunigen.

Ma leitet das Projekt zur Entwicklung des Frühwarnsystems DAKIFWS, das Unternehmen eine KI-basierte Analyse-Plattform zur Verfügung stellen soll. Verschiedene Datenströme werden dabei auf der Plattform zusammengeführt und ermöglichen ein Monitoring in Echtzeit. Firmen können so etwa frühzeitig Probleme bei Lieferketten erkennen. Das Bundeswirtschaftsministerium fördert das Projekt mit rund zwei Millionen Euro.

An der Entwicklung des Projekts ist auch das Robert Koch-Institut (RKI) beteiligt. Max von Kleist, Bioinformatiker am RKI, ist überzeugt, dass auch der Gesundheitssektor von solchen Frühwarnsystemen profitieren könnte: „Wir wollen versuchen, den optimalen Nutzen aus den bestehenden Datenmengen zu ziehen. Dabei sind aus gesundheitlicher Sicht viele Teilaspekte interessant. Etwa das Auftreten neuer Erreger, die beispielsweise über Vektoren übertragen werden.“ Krankheiten kehren nach Europa zurück In Europa dürften künftig Krankheiten wie Borreliose wieder deutlich zunehmen. Auch Malaria, die seit dem 19. Jahrhundert in Europa eigentlich weitestgehend verschwunden war, könnte durch den Klimawandel zurückkehren. Mit einer Überwachung der Klimadaten könnte das Risiko eingeschätzt werden, meinte von Kleist.

Wie wichtig ein intensiveres Monitoring ist, bestätigten auch die Georgetown-Wissenschaftler in ihrer Studie. Denn nicht nur die Zahl der neuen Virusübertragungen steigt, auch die Übertragungswege werden immer unübersichtlicher und schwerer nachzuvollziehen. Um weltweite Pandemien zu verhindern, müssen neue Erkrankungen allerdings schnell erkannt werden.

Bei einem Frühwarnsystem könnten neben den Klimadaten auch Informationen aus Sozialen Medien ausgewertet werden, erklärte von Kleist: „Wenn sich viele Menschen in den sozialen Netzwerken äußern, dass sie grippeähnliche Symptome haben, ist das ein guter Hinweis darauf, dass ein neuer Erreger im Umlauf ist.“ Allerdings gibt es gerade bei diesen Daten Grenzen, gab von Kleist zu bedenken: „Die Daten müssten natürlich nach den entsprechenden Datenschutzregeln erhoben werden.“

KI für den Klinikalltag

Auch die Berliner Charité ist an dem Frühwarnsystem interessiert und beteiligt sich an der Entwicklung. Alexander Thieme, Mediziner und Experte für digitale Medizinanwendungen an der Charité, sieht große Vorteile für künstliche Intelligenz im Klinikalltag: „Mit den Methoden der KI können wir sowohl die Diagnostik beschleunigen als auch die Versorgung verbessern. Etwa wenn diese Technologien es Patienten erlauben, das Krankenhaus wieder schneller zu verlassen.“ Vor allem die Nachsorge würde von der Klinik nach Hause verlagert, so Thieme: „Dann sendet der Patient von zu Hause Daten an das Krankenhaus, das die Genesung überwachen kann. Dabei muss der Arzt nicht mehr die ganze Zeit danebenstehen.“

In Zeiten des Klimawandels ist die Entlastung des Ärzte- und Pflegepersonals nicht nur ein angenehmer Nebeneffekt, sondern dringend notwendig. Schon jetzt warnen Experten vor der zunehmenden Überlastung des Gesundheitssystems in Deutschland (Background berichtete). Schon vor der Pandemie war die Personalnot im Gesundheitssektor groß, wie eine Auswertung der Wirtschaftsprüfgesellschaft PWC 2020 ergab. 56.000 Ärzte sowie 140.000 nicht-ärztliche Fachkräfte fehlten 2020. Bis 2030 errechnete PWC einen volkswirtschaftlichen Schaden von 35 Millionen Euro durch die unbesetzten Stellen. Hitzeinseln Problem in Städten Dabei wird in Deutschland die Belastung durch Hitze zu einem immer drängenderen gesundheitlichen Problem. Besonders Städte sind in Deutschland betroffen, wenn sich in dicht bebauten Gebieten mit wenigen Grünflächen die Wärme in sogenannten Hitzeinseln staut und nicht entweichen kann. Auch hier könnte KI eine entscheidende Rolle übernehmen, erklärte Ma: „Das Thema Hitzeinseln haben wir uns auch in anderen Projekten bereits angeschaut. Da ging es unter anderem darum, diese bereits bei der Städteplanung mitzudenken.“

Gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium hat das HHI in dem Projekt Klips in Leipzig und in Langenfeld bei Düsseldorf ein Sensornetzwerk installiert, das Daten über die Temperaturen in der Stadt liefert. Beide Städte haben stark mit Hitzeinseln zu kämpfen, obwohl Langenfeld mit nicht einmal 60.000 Einwohnern ganz andere Voraussetzungen hat als die Großstadt Leipzig mit etwa zehn Mal so vielen Einwohnern.

Kombiniert mit Satelliteninformationen, Klima- und Wetterdaten sowie Erkenntnissen über die Bebauung können die Sensordaten in Echtzeit ausrechnen, in welchen Stadtgebieten Hitzeinseln drohen. Auch Prognosen werden über die KI-Algorithmen möglich und können bereits bei der Stadtplanung dazu beitragen, dass Hitzeinseln gar nicht erst entstehen – schon auf diese Weise könnte der Gesundheitssektor entlastet werden.